Norbert wird 27. In seinen Träumen hat ihn sein Flurteppich überredet dieses Ereignis zu feiern. Norbert ist sich jedoch dieser Manipulation nicht bewusst. Er kauft Bier und Wein und bäckt sogar einen Kuchen. Der Tag kommt, er empfängt seine Gäste. Sein Teppich, der sich geschworen hatte Norberts Leben in andere Bahnen zu lenken, lehnt sich zurück und betrachtet sein Werk. Doch ganz so, wie er sich das vorgestellt hat, läuft es doch nicht…
Aufführung in 15 Szenen mit Livemusik und Videosequenzen
Nach einem Stück von Dominik Fraßmann
Uraufführung:
16. Februar 2008
im Festsaal im Studentenhaus, Karlsruhe
Beschreibung
Inhalt
„Norbert“ ist ein Stück für acht Schauspieler und einen Teppich. Ein Schwerpunkt der Handlung sind Kommunikationsschwierigkeiten und wie die Figuren mit ganz unterschiedlichen Strategien sich verständlich zu machen scheitern. Auch Norbert ist nicht fähig mit seiner Umwelt zu kommunizieren. Wie alle konstruiert er sich seine eigene Welt, die mehr oder weniger gut funktioniert. Da es in seiner Welt für nichts einen Grund gibt, kann alles „gut“ sein.
Ein Stück über Bedeutungslosigkeit, es passiert nicht viel, es ist eher ein Bild eines Zustands, Durchschnittsmenschen mit Kommunikationsproblemen, ohne wirklichen Helden, ohne aktive Handlung, es geschieht irgendwie und das Leben ist am Geburtstag genau so wie an jedem anderen Tag auch.
Form
Der Text hält sich an die aristotelischen Forderungen an die Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Die Geschichte, die erzählt wird, findet an einem Tag innerhalb von wenigen Stunden statt. Ein Ereignis aus der nahen Vergangenheit wird öfter erwähnt (Norberts Selbstmordversuch). Der Bühnenraum bleibt der Flur von Norberts Wohnung. Die Handlung endet mit der gleichen Szene wie am Anfang. Durch die Symbolisierung des Kreislaufs und der Wiederholung wird die Handlung abgeschlossen. Im Stück geschieht dies durch Norberts Staubsaugen.
Idee
Das Theaterstück „Norbert“, das als Grundlage der Inszenierung dient, verlegt die Haupthandlungen außerhalb des sichbaren Bereichs. Zu sehen ist ein Durchgangsort, auf dem sich die Akteure nur im Durchgang aufhalten. Es ist der Flur einer Wohnung, in der ein Geburtstagsfest stattfindet. An diesem Ort lassen sich besondere Aspekte des menschlichen Handelns zeigen. Die Begrüßungen und Verabschiedungen finden hier statt. Gleichzeitig ist es aber auch ein Ort größter Privatheit, wenn Menschen sich hier alleine aufhalten. Ein Nebenraum wird hier zum Zentrum des Geschehens.
Der Großteil der Handlung findet nicht auf der Bühne statt, die Bühne ist nur Durchgangsort für die Schauspieler, sie verschwinden relativ schnell in anderen Räumen, die Bühne bleibt alleine, der Raum, der zu sehen ist, bleibt sich selbst überlassen.
Das Stück wurde geschrieben, um die Möglichkeit zu bieten, der Bühne eine eigene Rolle zu geben. Der Raum soll selbst als Figur zum Leben erweckt werden.
Diese Bühne wird zum Akteur, zum selbst handelnden Raum, als eigene Figur inszeniert sie den Gegenentwurf und den Kommentar zum schauspielerischen Teil des Stücks. Diese Idee schlägt sich im Bühnenbau nieder. Durch die besondere Raumkonzeption werden die Zuschauer direkt in den Bühnenraum integriert und erleben sich selbst als Teil der Inszenierung.
Musikalische und visuelle Elemente ergänzen die Konfrontation des Zuschauers mit der Bühne an sich in einer außergewöhnlichen räumlichen Situation. Dies geschieht dadurch, dass die 15 Szenen durch Livemusik und damit korrespondierenden Videoprojektionen erweitert werden.
Konzept
Die Bühne als eigene Figur zu inszenieren ist der zentrale Punkt des Konzeptes der Aufführung.
In Gesprächen mit Gabriele Vöhringer (Szenografie) und Daniel Czepelczauer (Musik) entwickelte sich die Idee, den Teppich als zentrales Element der Bühne zu behandeln und zu inszenieren. Die Rahmenhandlung gibt diesem Teppich den Auftrag, sich um die Hauptperson des Stückes zu kümmern. Er nimmt das Geschehen war, das auf ihm stattfindet, er verarbeitet dieses, und versucht Impulse zu geben. Das geschieht aber auf nichtnaturalistischer Basis. So trennt sich das Geschehen auf:
Die Schauspieler handeln in einer sehr naturalistischen Umgebung auf sehr naturalistische Weise. Klares, hartes Licht beleuchtet den Raum, sobald einer der Schauspieler diese Arena betritt.
Im Gegensatz dazu wird die Situation surreal, sobald keiner der menschlichen Figuren mehr den Raum der Bühne und damit den Teppich wahrnimmt. Das Sein wird übernaturalistisch. Der Teppich lebt und denkt und reflektiert und handelt. Niemand verhindert dieses Handeln durch einen naturalistischen Blick. Auch die Zuschauer sind Bühne und damit Teil des Ganzen.
Wenn Sein Wahrgenommenwerden im Sinne von Berkley bedeutet, dann bekommt die Bühne in diesem Moment des Nichtwahrgenommenwerdens die Freiheit zum Sein nach eigenen Regeln.
Räumliche Situation
Im geschriebenen Stück gibt es bestimmte Notwendigkeiten. Dazu gehören Türen, Wände und ein paar Requisiten. Um die Elemente zu reduzieren, wurde daran gearbeitet, dem Publikum eine dieser Teile zu übertragen.
Unter der Voraussetzung die notwendigen Wände mit einer Funktion auszustatten und das Publikum nahe an das Geschehen zu bringen, entwickelte sich der Ansatz einer dreieckigen Arena, in der die Zuschauer zu einem Teil der Requisiten werden. So wurde noch ein Teil der Bühne belebt. Der Teppich als eigenständig handelndes Element und die Wände als Beobachter.
In dieser entwickelten Vorstellung sind die Zuschauer außerdem auch in einem Innenraum. Sie sind dadurch auch spürbar in der Situation in einen privaten Raum Einblick zu haben und das Geschehen als unsichtbarer Zeuge mitzuerleben.
Die Zuschauer können sich in dieser räumlichen Situation auch selbst als Beobachter beobachten. Sie sitzen direkt an den Schauspielern und haben automatisch eine sehr aufs Detail konzentrierte Sicht auf die Handlung.
Dadurch, dass die anderen Zuschauer beobachtet werden können, wird auch die Subjektivität der Perspektive deutlich. Ein besonderer Aspekt des Theaters, dass jede Aufführung etwas Einzigartiges bedeutet, wird verstärkt und durch die unterschiedliche Raumwahrnehmung der einzelnen Plätze unterstrichen. Jede der drei möglichen Seiten hat außerdem eine komplett andere Wahrnehmung des Bühnenraums und der Handlungsrichtungen der Schauspieler zur Folge. Die choreographische Inszenierung ist jedes Mal eine vollkommen andere.
Durch die Setzung der Livemusiker in die Reihen des Publikums wird dem Zuschauer seine eigene Funkion noch mehr vor Augen geführt. Er kann seine Funktion in den gegenüberliegenden Zuschauerreihen gespiegelt sehen. Zusätzlich wird dadurch auch an die Chorfunktion der Zuschauer in der griechischen Tragödie erinnert.
Die „Wände“ werden der Mund, der Teppich das Gesicht der Bühne als Figur.
Regiekonzept
Wichtige Elemente des Regieansatzes ergaben sich aus aus dem Stücktext und aus der räumlichen Situation. Außerdem hatte auch noch das Besetzen der Rollen mit Amateuren eine Bedeutung.
Ein Hauptmotiv des Textes ist das Mißlingen von Kommunikation. Mehrere Szenen bestehen aus inszenierter Sprachlosigkeit.
Durch die Nähe zum Publikum ergab sich die Möglichkeit Details des menschlichen Verhaltens deutlich zu zeigen. Jede kleine Bewegung, jede Gefühlsveränderung wird durch das Fehlen der Distanz zwischen dem Publikum und den Schauspielern sofort sichtbar.
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt der Regie besteht in der choreographischen Bewegungsaufteilung der Schauspieler. Von drei Seiten kann so jeweils eine gleichwertige, aber völlig andere räumliche Inszenierung verfolgt werden.
Szenografiekonzept
Norbert, einer von vielen, einer wie alle und unterschwellig seltsam anders.
Raum
Der Raum repräsentiert den Wohn-Alltag des Durchschnittsmenschen, unter dessen Oberfläche wohl immer etwas Eigenwilliges steckt. Die Rauhfasertapeten aus dem gutbürgerlichen Haushalt überdecken Blumen-, Weltraum- und 70er-Jahre-Tapetenüberreste, die stellenweise unter der Rauhfasertapete hervorblicken. Als hätte Jemand das Einheitliche satt gehabt und nach dem Dahinter gesucht.
Der Teppich, bestehend aus vielen einzelnen Stücken klassischer Bodenbedeckungen, verbirgt ebenfalls eine eigene Welt, die sich dem Betrachter offenbart, wenn alle den Raum verlassen haben. Ist sie immer da, die Welt der leblosen Gegenstände, wird nur nicht wahrgenommen?
Der Besucher ist eingehüllt in diese gleichmachende Landschaft von Versatzstücken aus dem Schöner-Wohnen-Alltag. Zu Beginn steht er einer Holzkiste gegenüber, die Bühne und Zuschauerraum beherbergt.
Nimmt er Platz wird er Teil der Wand – es befinden sich am Fußende der Zuschauertribünen sowie an den Wandabschlüssen Boden- bzw. Deckenleisten – und blickt aus dieser Position auf das Geschehen vor ihm als auch um ihn herum. Eine eindeutige Blickrichtung ist damit nicht gegeben, Schauspieler wie Zuschauer sind annähernd gleichermaßen präsent im künstlich geschaffenen Wohnraum.
Kostüme
Die Kostüme lehnen ebenfalls an die Idee des gegenwärtigen Gleichmachens des Lebens an. Alle wollen Guccimützen, alle wollen Pradaschuhe, Versacetäschchen und Perlenketten – aber kosten sollte es nichts. Das Kostüm spielt damit auf die „alles möglichst billig kaufen aber aussehen wie Madonna oder Justin Timberlake“ an. So tragen alle Schauspieler zwar Jogginganzüge als einheitliche „Tracht“, aber in Kombination mit geschmackloser billig-aber-Gucci-Mentalität.
Video
Das gesamte Stück wird von einzelnen Videosequenzen durchzogen. Immer wieder kehren sie mit der Musik in das Geschehen zurück, mit unterschiedlichen Absichten. Sie stellen das Innenleben des Teppichs dar, suggerieren eine seltsam wirkende Welt, eine andere Wirklichkeit, derer die Menschen im Stück nicht gewahr werden. Der Teppich als Begleiter seines Begehers, Norbert. Er leidet mit ihm, freut sich mit ihm und ist am Ende genauso desillusioniert wie der Protagonist. Parallel zu Norbert zeigen die Videobilder Norberts Entwicklung oder Nicht-Entwicklung mittels der fremden Welt, die durch Einblicke in den Teppich sichtbar wird. Welche Wirklichkeit die lebbarere ist bleibt am Ende offen.
Musikkonzept
Videoprojektionen und Musik bilden eine strenge Einheit, sie stellen das Eigenleben des Teppichs dar. Keines der beiden Elemente kommt getrennt voneinander vor, um das Gefühlserlebnis des Zuschauers zu intensivieren. Dieser soll förmlich in den Teppich gesogen werden und diese surreale Welt unmittelbar – quasi real – erfahren.
Die Einheit von Bild und Ton wird durch den Einsatz der Software “Electroplankton” des japanischen Medienkünstlers Toshio Iwai unterstrichen. Dieses Programm erlaubt es mit Hilfe eines Touchscreens auf rein visuelle Art Klänge zu erzeugen. Diese Software hat fast alle Stücke inspiriert und zieht sich wie ein roter Faden durch die Aufführung.
Zu Beginn und Ende des Stückes steht das Staubsaugen. Die Schwingungen des Gerätes nimmt die Musik auf und fängt an, sich daraus zu entwickeln. Die Musik schildert das Erwachen des Teppichs, und schon bald sind konkrete Klangwelten geformt. Das Erleben des Teppichs formiert sich in einer harmonischen Einheit von Bild und Ton – oder eben in einer gezielten Un-Einheit. Der Musik ist dabei vorrangig das Vermitteln der Gefühlswelt zugeschrieben.
Diese Gefühle sind mitunter sehr stark und direkt, doch genauso oft orientierungslos und verwirrt. Die Geschichte der Beziehung von Teppich und Norbert ist ebenso wie die Interpretation der Ereignisse durch den Teppich von starken Spannungen durchzogen. Entsprechend mag sich dem einzelnen Zuschauer diese Spiegelung der Gefühlswelt erst im Laufe des Stücks offenbaren.
Kohärent mit dem Spielgeschehen entwickelt sich die Musik in drei Abschnitten:
1. Erwachen und Erleben: Im ersten Teil des Stücks herrscht ein Ausprobieren des Teppichs vor, was sich (unabhängig von der dargestellten Gefühlswelt) auch in einem Versuch an verschiedenen Stilrichtungen zeigt.
2. Wut und Dissonanz: Im zweiten Teil des Stücks herrschen sehr konkrete, aber unschöne Gefühle vor. Entsprechend herrschen hier harte, kalte und ungemütliche Klänge vor. Diese eher undefinierten Klangwelten zeigen die Schattenseiten jeden Gefühlserlebens.
3. Trösten und Einlullen: Im dritten Teil des Stückes ist es Aufgabe des Teppichs – und damit der Musik – die Hauptfigur zu trösten. Auch der Teppich selbst möchte nicht mehr in das Chaos zurückgehen. Als logische Konsequenz kommt es zu einer Abstumpfung des Teppichs. Entsprechend herrscht hier eine Funktionsmusik ganz im Sinne von Erik Satie vor: hintergründig, Stimmung erzeugend, repetitiv.
Moderne Tontechnik vermittelt dem Zuschauer trotz Live-Vortrag einen Klang wie von CD. Er erfährt die Musik gemäßigt und indirekt – so, wie er sie zum Beispiel im Kino erleben würde. Der Zuschauer soll nicht aus dem Stück gerissen werden; durch diesen Kunstgriff verbleibt er durch die Aufführungspraxis diktiert in seiner Rolle als Wand/Zuschauer.
Dieser Eindruck wird durch den bewussten Einsatz von kompositorischen Klischees noch verstärkt, die direkt aus der Erfahrungswelt der Protagonisten entnommen sind und auch dem Zuschauer mehr oder weniger vertraut sind. Die Arbeiten von Carsten Bohn für das Hörspielstudio EUROPA fanden ebenso Beachtung wie Musik zu TV-Dokumentationen oder das Studentenradio.
Elemente der elektronischen Musik gehen eine Einheit mit der Idee einer Rockband ein. Anhand vorprogrammierter Patterns wird ein variabler Rhythmushintergrund geschaffen, der es den Musikern gestattet, frei zu improvisieren. So kann nicht nur auf die Eigenheiten und Stimmungen der jeweiligen Aufführung spontan eingegangen werden, auch die Musik kann und soll ihre Eigendynamik entwickeln: der Teppich ist eine separate Erzählebene.
Mitwirkende
bei der Aufführung in Karlsruhe im Februar 2008
Text und Regie: Dominik Fraßmann
Szenografie: Gabriele Vöhringer
Musik: Daniel Czepelczauer
Jan-Erik Großmann
Norbert: Jan-Bart De Clercq
Tante: Ines Wuttke
Onkel: Samuel Israel
Kevin: Michael Quednau
Lara: Mariella Gallas
Anna: Leila El Gasmi
Melanie: Elke Hennen
Georg: Daniel Klein
Video: Gabriele Vöhringer
Manuel Linnenschmidt
Synthesizer & Sequencing: Daniel Czepelczauer
Gitarre: Jan-Erik Großmann
Bass: Benjamin Fraßmann
Assistenz: Franka Rose
Technik: Halil Kekilli
Impressum
Copyright:
Dominik Fraßmann
Szenografiekonzept:
Copyright:
Gabriele Vöhringer
Musikkonzept:
Copyright:
Daniel Czepelczauer